Sela5/2 – Solo-Exhibition Fyodor Moon

 

Friends of Fyodor are proud to be able to show some pictures of the opening of the solo exhibition of Fyodor Moon. Take a look:

Here we publish a text (in German language) by Jörg Möller about the pictures of Fyodor Moon: „Bewegungsunschärfe“.

„Bewegungsunschärfe“ – Zu den Bildern von Fyodor Moon
Jörg Möller

Viel wissen wir nicht von dem nun seit 2013 verschollenen Fotografen.

So lange war er noch nie weg – oder wäre es besser zu sagen: unterwegs? Aber: wir wissen nicht, ob er überhaupt noch unterwegs ist… . Bis heute gibt es kein Lebenszeichen von ihm.

Was wir wissen:

Fyodor Arsenyevich Moon wurde 1957 in der Karpaten-Region in der Ukraine geboren. 1988 gab er seinen Beruf als Dozent für Dialektischen Materialismus in Kiew auf. 1991-1993 studierte er an der „Hawarden True Amateur Photoschool“ (TRAP), UK.

Kurz nach seinem Abschluß verschwand er zum ersten Mal für 8 Wochen, ohne seiner Familie oder seinen Freunden bescheid zu sagen. Er brachte wahrscheinlich 4 Filme mit und nannte die Ergebnisse seiner Reise „trance photography“.

Warum?

Als Junge hatte er eine kleine Erfahrung von höchster Wichtigkeit gemacht, erzählte er Mitte der 1990-er Jahre: Er hatte durch das Fenster einer in der Nachbarschaft gelegenen Klosterruine geguckt. Und durch das Bleiglas sahen die Wiese seiner Mutter, der Garten mit dem Wacholderstrauch und der Wald dahinter aus wie das Märchenland. Als sei er dort nie zuvor  gewesen. Und das genau ist es, was er zeigen möchte, sagte er, vertraute Orte, als ob man dort nie gewesen ist oder als stammten sie aus jemand anderes Traum.

In den letzten Jahren benutzt er eine digitale Spielzeugkamera für Kinder. Aber, es ist ja nicht die Kamera sondern der Fotograf, wie es Agnes Dodgson formulierte, seine Lehrerin an der TRAP. Das Entscheidende für Fyodor ist die Geisteshaltung. Geh wohin jeder geht, aber geh allein, geh in der Dämmerung, oder im Regen, Nebel ist das Beste, oder an Heiligabend. Geh weit, bis du müde bist und frierst, und dann geh weiter. Guck dabei immer durch die Kamera, egal ob du dabei herumstolperst wie ein Idiot. Die Welt nach der du suchst, ist in der Kamera, und nur da.

„“Trance” bedeutet Dinge zu tun, die du gut geübt hast, dich aber dabei aber so zu verhalten, dass du nicht darüber nachdenkst.“, schrieb er in den Abschiedsbrief an seine Freundin, die er während des Studiums in England kennengelernt hatte, „Wie ein Fußballer beim Fallrückzieher: wenn er darüber nachdenken würde, würde er neben den Ball treten.“ Kennst Du noch Oleg Blochin? Das Idol meiner Jugend, sagte er.

Aber wie kam es zu diesem rigorosem Bruch in seinem Leben, den er nach seiner Ausbildung vollzog? Wie kam es zu diesen monatelangen Wanderungen bzw. Reisen, zu denen er immer ohne Ankündigung wieder aufbrach?

Aus seinen letzten Arbeiten („Dryads“, „Northend“, „To Vorkuta“, „Hänsel und Gretel“) ergeben sich aus den Fotografien kaum noch geografische Anhaltspunkte. Bis auf Vorkuta, wo – wie wir wissen – nördlich des Polarkreises ein Gulag errichtet wurde.

Vielleicht muß auf der Suche nach dem Bruch/den Brüchen in seinem Leben schon wesentlich früher angesetzt werden. In den 1980-er Jahren – und dann noch ein Mal im Jahr 1988 (trotz Perestroika und Glasnost…).

In dem einzigen Interview, das er gegeben hat, wären da 2 Zitate:

„Ich hatte die Dummheit, Philosophie zu studieren, und als ich fertig war, fiel mir nichts Besseres ein, als eine Doktorarbeit zu schreiben. Und um etwas Geld zu verdienen, habe ich Philosophie unterrichtet. Aber spätestens da, wahrscheinlich durch dieses Vermitteln, habe ich festgestellt, was für ein Unfug das alles ist.“

und

„Die marxistische Philosophie in der Sowjetunion war eine raffinierte Anleitung zum kreativen Lügen. Wie im Mittelalter. Man konstruierte die Wahrheit. Ich meine, das ist der Sinn der Logik auch: mittels korrekter Gedankengänge zu neuen Einsichten zu gelangen. Doch im Unterschied zum freien Philosophieren, musste man im sowjetischen Marxismus zu einem bereits vorgegebenen Resultat gelangen. Also war es alles nur Winden und Vortäuschen.“

Die wenigen Aufzeichnungen, die er nach seinem derzeit letzten Verschwinden hinterließ (er muß noch einmal gründlich aufgeräumt haben…), fand sich nur ein schmaler Aktenordner. Das Material war nicht sortiert, manches nur auf Notizzetteln zusammengeheftet. Er wollte wohl nur noch die Bilder sprechen lassen. Rätselhaft bleibt, warum er dann diesen Ordner überhaupt aufgehoben hat… .

Hier fand sich z.B. auch eine Notiz aus einem Text über Josef Sudek, den er offenbar sehr verehrt hat:

„Er war entschieden ein Mensch, der sich von keiner Gesellschaft ein zweites Mal zum Krüppel machen lassen würde.“

Wir müssen bedenken, daß ihm im Jahr 1988 drohte, in die Armee eingezogen zu werden, weil er seinen Job gekündigt hat. Er wollte nicht nach Afghanistan.

Ein befreundeter Arzt half ihm, sich in die Psychiatrie einweisen zu lassen, um sich dem Armeedienst zu entziehen. Nach dieser Zeit, die er vollgepumpt mit Psychopharmaka erlebt hat, gab ihm sein Vater seine alte „Zenit“ und schickte ihn aufs Land. Dort unternahm er seine ersten fotografischen Versuche – und die ersten Wanderungen.

„Das war das genaue Gegenteil zum Philosophieren, denn in der Natur spielt das Detail genauso eine große Rolle wie das Ganze.  Es gibt keine Ontologie in der Natur, keine Klassen, Kategorien, Arten oder Mengen. Nur Einzelfälle und Details. Aber in unendlicher Zahl. Und das ist faszinierend.“

Er wollte weit weg aus der Enge seines bisherigen Lebens in Kiew. Er hörte von der Möglichkeit, in England zu studieren – ohne Vorbildung. In Hawarden wurde er 1991 angenommen. Er entdeckte W.G. Sebald´s “Die Ringe des Saturn“, unternahm wieder lange Wanderungen, fotografierte mit der alten „Zenit“. Sein Blick wurde geschärft auf das Unscharfe, die Wanderungen wurden extremer, länger. Bei jeder Witterung. Oft ohne jegliche Orientierung.

Einmal, erzählte er, hatte er sich auf einer Heide verlaufen. Es hatte gefroren, er hatte keine Handschuhe und bemerkte es erst, als seine Finger steif gefroren waren, so dass er kaum noch die Kamera halten und den Auslöser nur noch mit dem Handballen bedienen konnte. Wie Django, sagte er, beim Showdown, nachdem sie ihm die Hände gebrochen haben.

„Bemüh´ dich nicht, die Dinge nur so zu fotografieren wie sie sind.“, schrieb er auf eine Zigarettenschachtel, die ebenfalls im Materialordner zu finden war. „Das ist was für den Anfang, so wie ich ihn hatte in der Ukraine. In allem jedoch steckt noch etwas mehr als die Dinge selbst. Und wenn du das merkst, und wenn du dir das verdeutlichst, dann kriegst du es vielleicht zu greifen.“

Möglichwerweise ist dieses Zitat aber auf den bereits erwähnten Josef Sudek zurückzuführen. Denn gleich dahinter hatte er einen Notizzettel abgeheftet mit einem weiteren Zitat. Der Zettel war mit etlichen Ausrufezeichen und Notizen versehen:

„Ich mache lustige Landschaften nicht gern. Weil eine lustige immerzu lustig ist und immer dieselbe. Eine traurige Landschaft hat viele Variationen. Eine mehr traurige und eine weniger traurige und eine noch traurigere, und damit läßt sich schon was anfangen.“

Jedenfalls, “verloren zu gehen” wie er es nannte, wurde ihm zur Gewohnheit. Und jedes Mal bringt er davon eine reiche Ausbeute von “Trance Fotografien” zurück, die nach und nach eine eigene Welt ergeben. Die Welt von Fyodor Moon.

Wir müssen uns Fyodor Moon als einen glücklichen Wanderer vorstellen.

(In Anlehnung an ein bekanntes Zitat von Albert Camus… .)