Frühe Passagiere

Wie kommt man zu seinen Themen? Nun, dieses hier z.B., die Frühen Passagiere, habe ich gefunden, indem ich es verpaßt habe. D.h. das erste Bild gibt es nicht.


Wir waren in Aberdeen und am Morgen unserer Abreise, es war ein Sonntagmorgen, sehr früh, die Sonne war gerade aufgegangen, hielt unser Bus, der uns zum Flughafen brachte, am Busbahnhof. Durch das Fenster sah ich eine junge Frau in einem grünen Plastikmantel, die frierend auf einer Bank wartete. Wie sie dort saß, nach offenbar durchfeierter Nacht, und in das Licht des ungewissen Tages blickte, erschien sie mir wie das Urbild ihres Alters, zwischen Jugend und Erwachensein, nicht wissend was die Zukunft bringt, in dem flüchtigen Moment, in dem noch alles möglich ist. (Klar, das ist nicht das Bild, das man als Jugendlicher von sich selbst hat, sondern der melancholische Blick zurück durch die Zeiten. Es ist ziemlich ernüchternd, mir vorzustellen, was ich mit siebzehn oder achtzehn an einem solchen Morgen auf einer solchen Bank vermutlich gedacht hätte.)
In Aberdeen war es wie gesagt noch früh am Morgen und ich war noch nicht ganz wach und habe es nicht geschafft, meine Kamera rechtzeitig aus dem Rucksack zu holen, um die junge Frau zu fotografieren. So blieb mir nur das Bild, das so wie ich es hier beschreibe, in meiner Erinnerung haftete. Wenn ich es damals fotografiert hätte, wäre es vielleicht nie zum Thema geworden. So aber beschäftigte es weiter meine Vorstellung. Und zwei Jahre später machte ich mich auf die Suche nach dieser Morgenstimmung, diesen etwas verlorenen Gesichtern in diesem ganz frühen Licht.
Etwas von der Stimmung konnte ich wiederfinden, den grünen Plastikmantel aber bewahre ich in meiner Erinnerung. Solche Sachen erhalten dort einen Ehrenplatz.

Autor: Karsten Hein

schreibt und fotografiert